Man stelle sich vor, der Arzt zu dem man geht, wäre gar kein Arzt. Der Kfz-Mechaniker hätte einfach nur behauptet, er wäre Mechaniker. Die Bürofachangestellte gibt dem Arbeitgeber ein falsches Zeugnis. Der Apotheker ist in Wirklichkeit Analphabet.
Es gibt gute Gründe, warum in Deutschland eine Prüfung erforderlich ist, um einen bestimmten Titel oder akademischen Grad tragen zu dürfen bzw. verliehen zu bekommen. Dazu zählen neben Sicherheitsbedenken auch Qualitätserwägungen zur Sicherung von Mindeststandards. Der akademische Grad eines Doktors bescheinigt dem Träger, dass er in der Lage ist, selbstständig wissenschaftlich zu arbeiten und seinem gewählten Thema etwas neues hinzuzufügen. Er zeigt also, ebenso wie andere Berufsbezeichnungen, die Kompetenz und die Fähigkeiten des Trägers an.
Jemand, der seinen Titel gekauft hat (wie z.B. Herr Jasper von der CDU) bzw. ganz oder in Teilen abgeschrieben hat (Guttenberg) spiegelt dem Publikum eine nicht-vorhandene Kompetenz vor, ist also ein Hochstapler.
Gestern nun gab Guttenberg zu, "gravierende handwerkliche Fehler" gemacht zu haben. Mit dieser Salamitaktik wird der Medienrummel um seine Fälschung noch eine Zeitlang anhalten, und er darf hierfür Horst Seehofer dankbar sein, der ihm einen Bärendienst erwiesen hat, als er ihm riet, nicht zurückzutreten. Seehofer wartet wohl darauf, dass Guttenberg vollkommen demontiert in der Versenkung verschwindet und später nur schwerlich "aus Ruinen" wieder aufstehen kann, wie es zum Beispiel Margot Käßmann möglich wurde. Käßmann bewies Charakterstärke, Guttenberg verhält sich nun genauso, wie jeder Politker: er klebt am Amt. Und das ist gerade bei einem populären Politiker wie diesem schwerwiegend und zeigt die Verantwortungslosigkeit des Herrn G. Die Botschaft die sein Verhalten aussendet ist nämlich: wer dreist und hartnäckig genug lügt, der kommt voran und wird am Ende belohnt. Das dürfte nicht unbedingt die Idealvorstellung einer Gesellschaft sein, auch nicht für die sogenannten Konservativen.
Guttenberg-Groupies
Auf der Facebook-Googleberg-Verteidigungsseite "ProGuttenberg" haben sich mittlerweile über 220.000 Menschen registriert, die der Ansicht sind, Betrug, Diebstahl geistigen Eigentums und Hochstapelei wären höchstens Kavaliersdelikte, und ein so toller Typ wie der "KT" müsse sowieso mit anderem Maß gemessen werden.
Wie lässt sich nun diese Euphorie erklären? Einige sprechen vom deutschen Sarah Palin, andere sehen in ihm einen Popstar. Wir erinnern, auch Papa Ratze soll einst ein Popstar gewesen sein, nämlich beim Weltjugendtag. Seit dem redet fast kein Mensch mehr von dem alten, vertrockneten Sack.
Aber beim fränkischen Lügenbaron sieht die Sache etwas anders aus. Der Mann war für die Unionsparteien und deren Anhänger tatsächlich eine Messiasfigur, ein Ritter in strahlender Rüstung, eine Projektionsfläche für alles was man gerne hätte in Deutschland und der deutschen Politik: Anstand, gutes Aussehen, Glamour, klare Worte und Taten, Spannkraft und Jugend, geglückte Verbindung von Familie und Karriere, eine Verbindlichkeit, die Vertrauen suggerieren soll, Kompetenz.
Und wie das so ist mit Projektionsflächen: ihr Inhalt ist völlig egal; im Gegenteil, Inhalt und Ecken und vielleicht Kanten sind schädlich. Eine gute Projektionsfläche ist glatt, aalglatt. So aalglatt, dass es den Anschein hat, sie würde strahlen. Und das kann er eben, der KT, dafür wird er gemocht. Bevor die Gutti-Groupies sich also wieder auf den grauen Alltag einlassen und einsehen, dass ihr Held doch nur ein Betrüger, ein gemeiner Dieb, ein Nepper und Bauernfänger ist, wird es noch dauern. Bis es soweit ist, ergehen sie sich in ihren realitätsfernen Rationalisierungen seines kriminellen Treibens.
Und solange werden auch alle Angriffe gegen ihn als Angriffe gegen das "gesunde Volksempfinden", nämlich die Mehrheitsmeinung, gewertet. Als diffus-amorphe Angreifer geben "die Medien" (alle ausser der Bild-Zeitung, die ja nach eigener Aussage überparteilich und unabhängig ist), selbst mit dem Nimbus der Unstetigkeit und Charakterschwäche behaftet, einen hevorragenden Gegner ab.
Rechtsstaat ja, aber nicht zum Frühstück?
Die Diskussion um Guttenberg, seine Jünger und seine kriminelle Energie zeigen aber auch, wie es die Deutschen denn so halten mit der Bildung und dem Anstand, mit Recht und Gesetz. Zuerst ist die Frage nach der Originalität der Arbeit keine Frage nach Moral und Charakter. Hätte Guttenberg Charakterstärke besessen und ein Mindestmaß an Anstand und Aufrichtigkeit gehabt, dann wäre die Dissertation entweder nie geschrieben worden oder sie wäre korrekt verfasst. Die Frage nach der Originalität der Arbeit ist vielmehr eine Frage wie man es mit dem geltendem Recht hält, ob man bereit ist den Rechtsstaat und seine Institutionen anzuerkennen, oder ob man das Recht so definiert wie man es gerade braucht. Charakter braucht es dann, um die Rechtsbrechung einzugestehen und die nötigen Konsequenzen zu ziehen.
Letztendlich geht es darum festzustellen, ob Guttenberg ein Krimineller ist und ob ein Krimineller Minister der Bundesrepublik Deutschland sein kann: ob er sich den akademischen Grad eines Doktors erschlichen hat, ob er sein Amt als Abgeordneter missbraucht hat, ob er sich des Diebstahls geistigen Eigentums schuldig gemacht hat, und ob er die Öffentlichkeit getäuscht hat. Und damit ist die Debatte eben nicht mehr elitär, sondern berührt die Grundfesten unserer Gesellschaft.
Vermutlich sind den meisten Anhängern diese Dimension und dieser Unterschied nicht einmal bewusst. Ihnen geht es darum, dass jemand ihr Idol angekratzt hat. Und wie Teenager und unreife Menschen nun einmal so sind: sie fangen an zu kreischen und schlagen die Türen zu.
Was weiterhin bedenklich stimmt ist die Tatsache, dass ein großer Teil der Deutschen akademische Grade als Beiwerk sehen ohne die (normalerweise) dahinterstehende Arbeit zu würdigen und sie im Gegenteil noch verächtlich machen. Diesen befremdlichen Trend zur Geistlosigkeit, zur Verrohung und Rückkehr zu primitiven Lebensformen befördert die Union, und mit ihr der achso kultivierte Karl-Theodor G.