»Die Rache der Verlorenen Jungs« – Tom Nichols über junge, zerstörerische Außenseiter im 21. Jahrhundert

Dieser Text ist eine Übersetzung des Beitrages »The Revenge of the Lost Boys« von Tom Nichols, zuerst erschienen im Juli 2015 in »The Federalist«, nach dem Massaker in einer Kirche in Charleston. Einige Links wurden mit einer deutschen Entsprechung ersetzt. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung.

Edward Snowden, Wired Cover

 

Westliche Gesellschaften produzieren zunehmend Verlorene Jungs, junge Männer, die Schwierigkeiten haben ins Leben zu starten, und die nun einen gefährlichen Groll gegen die Gesellschaft hegen.

Was ist mit den jungen amerikanischen Männern los? Eine weitere Massenschießerei führt zu einer neuen Runde von gegenseitigen Schuldzuweisungen aus Politik und Gesellschaft. Ein junger Mann – »Einzelgänger« und »dahintreibend«, wie so oft – fasst einen abscheulichen Entschluss und greift unschuldige Menschen an. Inmitten der Trümmer suchen wir nach Gründen, die unsere vorgefassten Meinungen über Gewalt bestätigen: wir machen Rassismus, Waffen, Arbeitslosigkeit, Drogen, ein schlechtes familiäres Umfeld oder was uns sonst hilft, die Tragödie zu verstehen, verantwortlich.

Die Wahrheit ist allerdings, dass Dylann Roof (jedenfalls soweit wir wissen) sich nicht so sehr von anderen jungen, meist weißen, Männern der letzten 30 jahre unterscheidet, die in unterschiedlicher Weise ihre Gesellschaft angegriffen haben. Obwohl Massenmörder verständlicherweise unsere Vorstellung und die Medien dominieren, sind nicht alle disfunktionalen jungen Männer gewalttätig, und nicht alle bekommen die Öffentlichkeit, die sie begehren. Einige sind Terroristen, andere Mörder, und wieder andere sind bloße Vandalen. Einige wenige sind Verräter und Deserteure.

Was ihnen gemein ist, ist ihr Geschlecht (männlich), ihre ethnische Herkunft (die meisten sind weiß) und ihre Jugendlichkeit (beinahe alle sind auf dem Höhepunkt ihrer Zerstörungswut unter 30 alt). Darüberhinaus haben sie außer einer hartnäckigen Unreife, verbunden mit einem gewaltigen Narzissmus, wenig gemeinsam. In beinahe jedem Fall kleiden sie ihre Wut in das Gewand einer Ideologie: White Supremacy, Dschihad, Hass auf Abtreibungen, Anti-Regierungs-Paranoia. In ewiger Adoleszenz verhaftet, sehen sie nur ihre eigene, eingebildete Tugend inmitten einer korrupten Welt. In einer typischen Stimmung schrieb Roof vor seinem Amoklauf, dass »jemand den Mut haben muss es in die echte Welt zu tragen, und das werde wohl ich sein müssen«.

Die Verlorenen Jungs erheben sich

Dies ist der Schlachtruf des Narzissten, wir kennen ihn bereits. Westliche Gesellschaften produzieren mehr und mehr dieser Verlorenen Jungs, junge Männer die Schwierigkeiten haben ins Leben zu starten, die einen erheblichen Groll gegen die Gesellschaft hegen. Einige von ihnen töten, andere wenden sich auf andere, kreativere Art gegen sie: ob nun Edward Snowden, der meint, nur er könne Amerika vor der Geißel der Überwachung retten, oder Bowe Bergdahl, der seinen Posten verließ, um persönlich den Krieg in Afghanistan zu beenden: die Kombination aus Unreife und Grandiosität unter diesen jungen Männern lässt einem in ihrem Ausmaß die Kinnlade herunterklappen, auch dann, wenn sie nicht durch den Lauf einer Waffe ausgedrückt wird.

Natürlich meine ich nicht, dass Snowden oder Bergdahl Mörder sind. Wenn überhaupt, dann sind diese verlorenen jungen Männer unglaublich empfindsame Seelen. (Ich werde an dieser Stelle nicht auf Chelsea Manning eingehen, deren Geschichte komplexer ist, als ich erfassen kann.) Dennoch, alle von ihnen haben sich ungemein destruktiv verhalten, aus Gründen, die genauso ihre Wurzeln in ihrer gescheiterten Männlichkeit und Reife haben, wie es bei Roof der Fall war.

Diese jungen Verlierer leben durch ihre heroischen Fantasien und konstruierten Identitäten, und nicht durch Arbeit und menschliche Beziehungen.

Es gibt noch weitere: John Walker Lindh, »der amerikanische Taliban«, hat seine Jugend damit verbracht in Chatrooms herumzuhängen, bevor er mit 20 zum Dschihadisten wurde. Timothy McVeigh, ein kleiner Jungen, der gemobbt wurde, plante seine Terrorattacke auf ein US-Bundesgebäude nachdem er die Armee in seinen Zwanzigern verlassen hatte. John Salvi, ein weiterer Einzelgänger, ballerte mit 22 in einer Abtreibungsklinik herum. Die Liste ließe sich fortführen. Diese jungen Verlierer leben durch ihre heroischen Fantasien und konstruierten Identitäten, und nicht durch Arbeit und menschliche Beziehungen: im Internet nannte Snowden sich »Wolfking Awesomefox«, was beinahe jeglicher Parodie spottet, während McVeigh sich als moderner Paul Revere sah. [A.d.Ü.: Paul Revere war ein US-amerikanischer Freiheitskämpfer und Nationalheld der amerikanischen Revolution, der u.a. an der Boston Tea Party (1773) teilnahm.] Ihre Leben, bis zu dem Moment ihrer individuellen Tragödie, sind durchzogen von verzweifelten Versuchen die klaffende Lücke der Unsicherheit zu verschließen, die beim Erreichen des Mannesalters, einige Zeit nach der High School, bereits hätte geschlossen worden sein sollen.

Tiefe Frustrationen über Sex und Identität

Um sich keiner Täuschung hinzugeben: dies ist beinahe ausschließlich ein männliches Phänomen. Frauen, insbesondere im Westen, sind normalerweise nicht die Verursacher von Massakern oder anderen spektakulären anti-sozialen Akten. Das ist zwar keine neue Beobachtung, aber dennoch lohnt es sich, die wichtige Rolle die Sex und männliche Identität – oder der Mangel derselben – im Leben junger, disfunktionaler Männer spielen, in Erinnerung zu rufen. In vielen Fällen sind diese Mann-Jungen verwirrt über ihre Sexualität und frustriert von ihrer sozialen Unbeholfenheit, die sie zu kompensieren versuchen. Sie werden zu etwas, das Hans Magnus Enzensberger als »radikale Verlierer«  bezeichnete, erfolglose Männer, die ihre abgestumpften männlichen Impulse in Richtung Zerstörung kanalisieren.

Diese Mann-Jungen sind verwirrt über ihre Sexualität und frustriert von ihrer sozialen Unbeholfenheit, die sie zu kompensieren versuchen.

Diese Frustrationen über Sex und Identität sind besonders dann gefährlich, wenn sie sich zu Gewalt ausweiten. Roof wütete darüber, dass Schwarze »unsere Frauen vergewaltigen«, eine Sorge beinahe identisch zu der einer kanadischen Gruppe Möchtegern-Dschihadisten, die von der Idee besessen waren, kanadische Soldaten würden afghanische Frauen vergewaltigen. Eliot Rodger, der junge Mann, der 2014 nahe der Universität von Kalifornien in Santa Barbara drei Menschen erschoss und dann mit seinem Wagen durch eine Menschenmenge pflügte, sagte explizit er würde andere Männer – und, natürlich, die schlampigen Frauen, die sie lieben – dafür bestrafen, dass sie sexuell erfolgreicher seien als er selbst.

Dschihadisten sind gewiss das Paradebeispiel für diese Art deformierter männlicher Identität. Bei all ihrer falschen Frömmigkeit und vorgeblichem Abscheu gegenüber westlicher Immoralität sind diese jungen Männer aus Nordafrika und Europa, die in Richtung Dschihadismus streben, fröhliche Konsumenten verbotener westlicher Früchte, und sie sind besonders besessen von Vergewaltigung, Pornographie und einer halbwüchsigen Fixierung auf die Unterwerfung von Frauen. Terroristische Organisationen in Übersee tragen diesem Umstand Rechnung: es ist kein Zufall, dass beinahe jedes Mal, wenn ein Dschihadisten-Nest ausgehoben wird, eine ordentliche Menge an Pornos zu finden ist. Auch Bin Laden hatte einen unersättlichen Appetit danach.

Die narzisstische Rache wütender Verlierer

Wütende Verlierer sind weder ein neues noch ein exotisches Phänomen. Was allerdings heute anders ist, ist, wie soziale Medien und das unbestreitbare Wachstum des Narzissmus' unter jüngeren Leuten eine neue Art des Austeilens erzeugen. Es reicht nicht Menschen zu töten oder gegen Autoritätssymbole, wie die Regierung, vorzugehen; heutzutage besteht ein neuer Schlag junger Verlierer auf größerer gesellschaftlicher Relevanz und massenhafter Anerkennung ihrer Taten. Wir empfanden es als anstössig, dass jemand wie der Unabomber verlangte, dass wir sein albernes Manifest lesen sollten; jetzt sind wir überrascht, wenn ein junger Mann, der sich an irgendeinem monströsen Verbrechen beteiligt hat, kein wie auch immer geartetes Zeugnis für seine eingebildeten Legionen von Fans im Internet hinterlässt.

Soziale Medien und das unbestreitbare Wachstum des Narzissmus' unter jüngeren Leuten erzeugen eine neue Art des Austeilens.

Natürlich, junge schwarze Männer verletzen sich untereinander häufiger und in ungleich höheren Zahlen als die wütenden weißen Verlierer. Ich bin weder Soziologe, noch werde ich in eine Diskussion über die Probleme sozialer Brennpunkte abschweifen. Allerdings scheint unbestritten, dass junge schwarze Männer, die ihre eigene Gesellschaft ausbeuten, eine bedeutende Eigenschaft mit den weißen Verlierern, die sich abreagieren und Fremde verletzen, gemein haben: sie sind keine Männer in dem Wortsinne, der Verantwortung, Zurückhaltung, Selbstdisziplin, oder andere tradionelle männliche Tugenden vorsieht.

Dies sind die Qualitäten der »Männlichkeit«, die der Harvard Professor Harvey Mansfield einige Jahre zuvor beschrieben hat, und deren Verschwinden aus der modernen Gesellschaft Mansfield nicht nur beklagte, sondern auch vorausahnend vor unheilvollen Konsequenzen warnte. Wie ihre weißen Brüder sind auch gefährliche schwarze Männer wütend und kindisch, aber ihr Einfluss geht normalerweise nicht über ihren Kiez hinaus. Ebenso scheinen sich weder Medien noch Öffentlichkeit, aus verschiedenen tragischen Gründen, nicht für die alltägliche Gewalt zwischen jungen Schwarzen in derselben Weise zu interessieren, wie sie es für die angeberischen Erzeugnisse wütender weißer Männer tun.

Portrait des Außenseiters als junger Mann

In der Tat ist es vielsagend, dass wir nur dann aufmerksam werden, wenn weiße Kinder – oder, wie im Virginia-Tech-Fall ein emotional gestörter Asiate – ausrasten. Hier ist sicherlich ein subtiler, sogar unbewusster, Rassismus am Werk. Vielleicht sind wir geschockt, wenn junge Männer, von denen wir dachten, dass sie im sozialen Gefüge bessere Chancen hätten, plötzlich dagegen aufbegehren. Oder wir sind einfach taub gegenüber urbaner, schwarzer Gewalt.

Aber auch in der Welt der Spionage scheint es einen öffentlichen doppelten Standard zu geben: viele Leute sehen zu Snowden als einer Art Berühmtheit auf, während gerade vor ein paar Monaten der ehemalige CIA-Offizier Jeffery Sterling, ein Afro-Amerikaner, wegen der Veröffentlichung US-amerikanischer Geheimisse in ein Bundesgefängnis geschickt wurde, ohne, dass die Öffentlichkeit einen Mucks von sich gegeben hätte. (Wenn Sie mich fragen, ich denke, dass beide, Sterling und Snowden Kriminelle sind.)

Es ist vielsagend, dass wir nur dann aufmerksam werden, wenn weiße Kinder ausrasten.

Trotzdem, die verunsicherten jungen Einzelgänger, besonders die, die spektakuläre Gewaltakte verüben, sind größtenteils ein weißes Phänomen. So unwillig wir das auch akzeptieren mögen unterschied sich Roof nur im Ausmaß, nicht aber in der Art von jungen Männern wie Lindh, Snowden, Bergdahl, Salvi, Britanniens »Jihadi John« (ein weiteres »ruhiges Kind« der Mittelklasse, das sich gegen die eigene Gesellschaft gewendet hat) und anderen.

Das ist ein verstörender Vorwurf, aber betrachten wir für einen Moment die Ähnlichkeiten dieser jungen Männer, und nicht ihre Unterschiede. Sie sind distanziert, Gleichaltrige verstehen sie im Allgemeinen nicht. Sie mögen in einem kleine Kreis von Menschen beliebt sein, aber gleichzeitig sorgen sie bei denselben Leuten für ein gewisses Unbehagen. Ihre Jugendlichkeit, die sie Jahre zuvor hätten verlieren sollen, begleitet sie wie ein abgetragenes T-Shirt oder ein Paar ausgelatschte Schuhe, das sie nicht wegwerfen wollten. Ob sie nun fasziniert waren von der Hip-Hop-Kultur wie Lindh oder Jihadi John, oder ein virtuelles Leben online geführt haben wie Snowden, sie haben es nicht geschafft, sich der Verantwortung des Erwachsenenlebens zu stellen.

Das Arbeitsleben steht außer Frage: diese jungen Männer sehen sich selbst als auserwählt für wichtigere Dinge.

Sie finden Bildung langweilig, nicht zuletzt, weil sogar die normalen Herausforderungen der High School soziale Fähigkeiten verlangen, die sie nicht besitzen. Die Oberschule, falls sie es bis dahin schaffen, ist nur eine weitere Arena, in der sie gesellschaftlich versagen. Das Arbeitsleben steht außer Frage: diese jungen Männer sehen sich selbst als auserwählt für wichtigere Dinge, seien es musikalischer Ruhm oder größere Missionen, wie zum Beispiel die Vereinigten Staaten vor Tyrannei oder einem ausländischen Krieg zu schützen. Oder, im Falle Roofs, weiße Maiden vor der furchterregenden Sexualität schwarzer Männer.

Viele dieser Außenseiter sind fasziniert von Symbolen von Sex und Macht.

Das Militär, oder wenigstens die Faszination die das Militär und seine Symbole ausüben, ist häufig eine kurzzeitige Lösung für diese Jungs. Viele dieser Außenseiter sind fasziniert, was bei dem Übergang vom Jungen zum Mann häufig der Fall ist, von Symbolen von Sex und Macht: Schußwaffen, das Militär und mittelalterliche Heldensagen. (Es ist mittlerweile ein trauriger Tropus, dass nach jeder Tragödie unvermeidlich Facebook-Seiten und Fotos auftauchen, die die Täter in Möchtergern-Gangster oder paramilitärischer Pose zeigen.)

Wenige Amerikaner dienen in der Armee, dennoch finden sich unter dieser kleinen Auswahl entfremdeter Verlierer viele, die entweder in der Armee waren oder zumindest versucht haben der Armee beizutreten, darunter McVeigh, Snowden, Bergdahl, und, als er sich noch als Mann identifizierte, ein junger Bradley Manning. Zwei wollten zu den Sondereinsatzkräften. (Lindh, glaube ich, war ebenfalls dabei, allerdings in einer anderen Armee.) Man muss kein Statistiker sein, um das auffällig zu finden.

Die Unfähigkeit echte Schwierigkeiten zu meistern

Ihre Erfahrungen unterscheiden sich, aber keiner war erfolgreich. McVeigh war kurzzeitig ein kompetenter Soldat, verließ jedoch die Armee, nachdem eine psychologische Untersuchung ihn für zu unstabil zu einem Einsatz bei den Spezialkräften befunden hatte. Bergdahl ging nach Afghanistan, um die Welt zu verändern. Als sich herausstellte, dass das Armeeleben unter seiner Würde war, entschied er, er sei besonders genug um seinen Posten verlassen und das persönliche Gespräch mit dem Feind suchen zu können, natürlich nicht ohne eine Liste von Beschwerden zu hinterlassen. Manning war seit seinem ersten Tag in der Armee ein Problem, und wurde schließlich für einen Bürojob in den Irak geschickt.

Snowden versuchte ebenfalls ein Held im Militär zu werden. Unfähig die High School zu beenden probierte Snowden die Militär-Kur und schaffte es nicht einmal durch's Infanterie-Training. Im jugendlichen Größenwahn steuerte der junge Wolfskönig, der »TrueHOOHA« (eine weitere Identität unter der Snowden im Internet bekannt war) ebenfalls die Spezialkräfte an – offenbar möchte jeder kleine Junge der mutigste Soldat in der Armee sein – nur um herauszufinden, dass Dinge wie Geradestehen oder morgens aus dem Bett kommen Fähigkeiten waren, die er meistern müsste, bevor er mit dem Messer zwischen den Zähnen aus Flugzeugen springen könnte.

Diese manichäische Weltsicht, die Aufteilung in ein kindisches Spiel von Cowboys und Indianern, ist eine weitere Gemeinsamkeit dieser Mann-Jungen.

Snowden fand Leute im Internet – oder, wesentlich wahrscheinlicher, sie fanden ihn – und plötzlich war ein sinnerfülltes Leben in Reichweite. Er wäre der größte Streiter für die Freiheit in der Geschichte der USA. Wie viele Dauer-Teenager waren seine politischen Ansichten rigoros, aber unbeständig: bevor er ein Meister im Stehlen von US-Geheimnissen wurde, sagte er, dass Leute, die geheime Information enthüllten, erschossen werden sollten. Eine Abkürzung auf dem Weg zum Ruhm nehmend stahl er abertausende Dokumente, von denen er die meisten, wie er jetzt zugab, nie gelesen hat. Dieser Tage erteilt er uns Ratschläge über unsere staatsbürgerlichen Pflichten aus seinem sicheren Haus in Wladimir Putins Russlands.

Diese manichäische Weltsicht, die Aufteilung in ein kindisches Spiel von Cowboys und Indianern, ist eine weitere Gemeinsamkeit dieser Mann-Jungen. Roof wählte »White Supremacy«, Lindh und die radikalisierten Verlierer in Europa wählten den Dschihad, Snowden wählte eine Karikatur von bürgerlichem Libertarianismus. War es nicht einer dieser Gründe, es wäre etwas anderes gewesen: Ich habe keinen Zweifel daran, dass wir irgendwann eine Massenschießerei oder eine Anti-Regierungsattacke zu sehen bekommen, die von einem Rechtschreibreformer oder einem Verfechter von Rohmilch verübt wird, falls es das ist, was einen verwirrten Jugendlichen dazu bringt, seine Wut gegen eine Welt, die sich weigert seine Besonderheit anzuerkennen, auszuleben.

Das Versagen zu reifen aufgrund sozialer Verwirrung

Der Geheimdienstanalyst John Schindler hat diese Männer als eine generationsbasierte Gefahr von innen (generational »insider threat«) für die Sicherheit der USA bezeichnet. Er hat nicht ganz Unrecht. Über Jahre hat Schindler jeden der zuhören wollte gewarnt, dass die US-Nachrichtendienste, wie er es später auf Twitter formulierte, »einen verärgerten, schlecht angepassten Deppen vom Desaster entfernt« seien, und er hatte Recht. Nach dem Roof-Fall bemerkte der ehemalige FBI-Agent Dave Gomez in einem dunkleren, aber ähnlichen Stil, dass viele dieser jungen Männer »Typen sind die Aggressionsprobleme in Bezug auf Rasse und Unfairness und Einsamkeit und Unzulänglichkeit haben, und sie finden dieses Zeug online und beginnen die Rhetorik zu kopieren. Anstatt sich in einem Saal zu treffen, treffen sie sich in Chatrooms ... und die meisten von ihnen tun nie etwas außer Reden.«

Die Triebkraft ihrer Handlungen ist ein jugendlicher Narzissmus, der aus sozialer Verbitterung und der Unfähigkeit zu reifen erwächst.

Das Argument hier ist nicht, dass Bergdahl und Snowden potentielle Mörder sind, oder dass alle introvertierten oder linkischen jungen Männer eine Gefahr für die Gesellschaft wären. In der Tat wäre jeder Mann, der nie durch eine Phase der Introversion und der Unbeholfenheit gegangen ist, ungewöhnlich. Tatsächlich sind manchmal extrovertierte junge Männer Monster: im Falle der Bostoner Bombenanschläge passt auf den älteren Tsarnaev-Bruder die Beschreibung des absonderlichen, enttäuschten Narzissten, während sein jüngerer Bruder, jetzt zum Tode verurteilt, eher nichts anderes als ein zielloser Kiffer zu sein scheint, der Spass haben wollte, es aber nicht über das Herz brachte seinen seltsamen Bruder zu enttäuschen.

Nichtsdestotrotz ist soziale Isolation ein wichtiger, sogar ein Schlüsselfaktor der Wege, die diese jungen Männer eingeschlagen haben. Die Triebkraft ihrer Handlungen ist ein jugendlicher Narzissmus, der aus sozialer Verbitterung und der Unfähigkeit zu reifen erwächst. Und das geht uns alle etwas an, denn wenn eine Gesellschaft zu viele narzisstische Männer hervorbringt, entschlossen es einer Gesellschaft heimzuzahlen die ihnen verweigert was ihres ist – Ruhm, Bestätigung, oder der Sexualpartner, den sie glauben verdient zu haben – dann sind wir alle in Gefahr.

Warum die moderne Gesellschaft zerstörerische Außenseiter erzeugt

Worüber wir nicht wirklich nachdenken wollen, weil es unsere geschätzten politischen Narrative in Zweifel zieht, ist, warum die moderne Gesellschaft solch zerstörerische Außenseiter erzeugt. Diese Mörder, Leute, die in Schulen um sich schießen, Terroristen oder Verräter, all diese gescheiterten Jungs – oder genauer: gescheiterten Männer – sind entstanden unter den Bedingungen der sozialen Isolation und einer verlängerten Adoleszenz.

Um ein Wort von Senatorin Elizabeth Warren zu leihen: wir haben es erschaffen.

Wie konnte das geschehen? Nun, um ein Wort von Senatorin Elizabeth Warren zu leihen: wir haben es erschaffen. Wir, die Erwachsenen, haben diese Generation junger Männer geschaffen, indem wir über die letzten 40 Jahre hinweg die Entstehung einer hyper-sexualisierten, Publicity-besessenen, Winner-take-all Kultur des 21. Jahrhunderts zuließen, in der Erfolg Geld, Sex und Ruhm zu jedem Preis bedeutet. Junge Männer leben nicht länger in einer Welt in der es für jeden Topf einen Deckel gibt, oder in der soziale Institutionen wie Schulen, die Polizei, Kirchen oder das Militär – alle dezimiert durch wiederholte gesellschaftliche Angriffe seit den 1960ern – die einen gewissen ausgleichenden Effekt unter Männern haben, indem sie die schwächeren Jungs schützen und aufbauen, und die stärkeren disziplinieren und heranreifen lassen.

Die ohnehin schon anarchische Umgebung der Adolszenz ist komplett vergiftet worden durch die Abwesenheit von verantwortungsbewussten Erwachsenen und besonders von männlichen Rollenvorbildern.

Das Ergebnis ist, dass die heutige amerikanische Jugend, und hier besonders die männlichen Jugendlichen, in einer Art »Herr der Fliegen«-Sphäre leben, in der die wilden Kerle ohne Einschränkung agieren, während die schwächeren Kinder von der Klippe fallen, und es nicht einmal einen großmütigen Ralph gibt, um sie zu betrauern. Die ohnehin schon anarchische Umgebung der Adolszenz ist komplett vergiftet worden durch die Abwesenheit von verantwortungsbewussten Erwachsenen und besonders von männlichen Rollenvorbildern. Im Dschungel herrschen die Starken und Aggressiven; in dieser Welt sehen die Verlierer, die einzelgängerischen Stubenhocker, die Außenseiter keinen Platz für sich.

Sie liegen nicht komplett falsch. Also entscheiden sie sich für die Fantasie eines jeden jungen Verlierers: Rache.

Allerdings habe ich hierfür keine Lösung, denn die Antwort liegt in der langfristigen Rekultivierung der sozialen Ordnung zwischen jungen Männern. Ich weiß nicht, wie man das umsetzen kann: die mannigfaltigen Hunde der sexuellen Freizügigkeit, des Überflußes (auch unter »armen« Kindern), der Nachgiebigkeit, gewalttätiger und ghettoisierter Teenagerkultur, sowie fortwährender Unreife sind von der Kette, und ich habe keine Ahnung, wie ihr zersetzender Einfluß auf die schwächeren und weniger konkurrenzfähigen Männer, die von einer Gesellschaft untergepflügt werden, die sich schneller bewegt als sie, und wir, bewältigen können, gestoppt werden kann.

Lasst uns in der Zwischenzeit nicht über die Symbole streiten, die diese gescheiterten Männer für sich gewählt haben. Es lohnt zwar über hasserfüllte Ideologien und gefährliche Symbole zu diskuteren, allerdings leben wir in einem freien Land und werden diese nicht loswerden. Lasst uns stattdessen die schwierigere Frage stellen: Warum ziehen wir so viele Jungs groß, die niemals den Übergang zum Mann schaffen, und wie verhindern wir ihre wiederholten Angriffe auf ihre eigene Gesellschaft?

 

Tom Nichols ist Professor für Nationale Sicherheit am US Naval War College und außerordentlicher Professor an der Harvard Extension School. Bei Twitter könnt ihr ihm unter @RadioFreeTom folgen. Übersetzung des Textes: Florian Wagner, @_fl01 bei Twitter.

Bildnachweis: Mike Mozart / flickr